Am 7. November 2021 wurde die Ausstellung Synagogen in Deutschland – eine virtuelle Rekonstruktion eröffnet. Die Ausstellung zeigt mit digitalen Technologien die virtuelle Rekonstruktion von mehr als 25 zerstörten Synagogen – entstanden an der TU-Darmstadt Es wird jedoch nicht nur die Geschichte der Zerstörung gezeigt, sondern ermöglicht mit Projektionen und Virtual-Reality eine neue Perspektive auf die Blütezeit der Synagogen in Deutschland.
Gerade im Hochbunker, dem geschichtlich bedeutsamen Ort der Mahnung, der Begegnung und des Gedenkens, erbaut auf der am 9.November 1938 zerstörten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft, soll diese Ausstellung mit dazu beitragen, jüdisches Leben in Frankfurt, im Ostend und über die Stadtgrenzen hinaus sicht- und erlebbar zu machen. Die Ausstellung versteht sich als Beitrag gegen aktuellen Antisemitismus und Baustein der Erinnerung an die Shoa, an die nationalsozialistischen Pogrome mit ihrer Zerstörung der reichhaltigen jüdischen Kultur.
Programm
Grußworte:
Begrüßung: Iris Bergmiller-Fellmeth, Vorstand, Initiative 9. November e.V.
Angela Dorn, Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Wiesbaden
Eileen O‘Sullivan
Marc Grünbaum, Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt
Musik: Gregor Praml, Kontrabass
Prof. Diwi Dreysse, Initiative 9. November e.V.
Dr. Marc Grellert, Kurator
Anschließend Führung durch die Ausstellung
Iris Bergmiller-Fellmeth, Vorstand, Initiative 9. November e.V.
Ich heiße Sie im Namen der Initiative 9. November e.V. recht herzlich willkommen, zur Eröffnung der Ausstellung: Synagogen in Deutschland – Virtuelle Rekonstruktionen. Die Ausstellung selbst können Sie nach den gehaltenen Reden, geführt durch den Kurator Marc Grellert, besichtigen.
Kurz vorweg möchte ich Ihnen von der Begegnung mit Dr. Ernst Gerhardt, ehemaliger Kämmerer der Stadt Frankfurt, erzählen. Er feierte vor kurzem seinen 100sten Geburtstag und berichtete, wie er als 17jähriger hier, am 9. November 1938 vor der brennenden Synagoge stand und zuschauen musste, wie die Feuerwehr zwar anwesend war, aber nur die Häuser rechts und links von der großen, prachtvollen Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft löschte. Und er auf Nachfragen an die umstehenden Zuschauer: warum die nicht die Synagoge löschen, nur auf Schweigen traf. Dieses Schweigen beherrschte die kommende Zeit: kein Wort über die brennenden Synagogen in der Presse und in der Öffentlichkeit, auch kein Gebet oder Erwähnung in der Predigt des Pfarrers beim sonntäglichen Kirchenbesuch. Es herrschte nur Schweigen und Angst vor.
Dr. Ernst Gerhard, dem Zeitzeugen, möchten wir auf diesem Wege nachträglich zum Geburtstag alles Gute und Gesundheit wünschen.
Ich möchte recht herzlich begrüßen für das Land Hessen: Die Mitglieder der Grünen des Landtags, Martina Feldmayer und Markus Bocklet; für die Stadt Frankfurt Eileen O`Sullivan, Dezernentin für Digitales, Bürger-innenservice , Teilhabe und Europa, die nachher das Grußwort der Stadt Frankfurt sprechen wird. Die Stadtverordneten für die Grünen, Uwe Paulsen, Daniela Capelluti, Julia Eberz, Christoph Rosenbaum, Emre Telykar, für die CDU Christian Becker, Claudia Korenke, für die Linke Michael Müller, Hermann Steib, Ortsbeiratsvorsitzender, der unserer Arbeit wohlgesonnen ist und uns immer tatkräftig unterstützt. Für die Stadtgesellschaft: Marc Grünbaum, Vorstand der jüdischen Gemeinde Frankfurt, der nachher noch ein Grußwort zu Ihnen sprechen wird, sowie die beiden Rabbiner Julian Chaim Soussan und Avichrai Abel, der jüdischen Gemeinde; Für den Vorstand der Anne Frank Bildungsstätte: Gabriele Scherle; für den Verein Roma: Joachim Brenner; für medico international: Thomas Gebauer; unser Ehrenmitglied: Fiszel Ajnwojner; Ich möchte aber auch die Stadträtin Rosemarie Heilig, die heute privat anwesend ist, begrüßen.
Ich hatte eingangs aus dem Interview mit Dr. Ernst Gerhard erzählt. Er spricht vom Schweigen und der Angst die damals herrschte. Wir als Initiative 9. November e. V. haben uns zur Aufgabe gemacht, nicht zu schweigen, nicht zu schweigen zu antisemitischen und rassistischen Übergriffen. Deshalb arbeiten hier seit über 30 Jahren Juden und Nichtjuden zusammen um ehrenamtlich, aktiv dagegen vorzugehen. Der Hochbunker, erbaut von französischen Zwangsarbeitern, zum Schutz der von den Nazis definierten schutzwürdigen „Deutschen“, und die darunterliegende, barbarisch zerstörte prachtvolle Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft ist für uns ein Begegnungsort und Mahnmal, ein Symbol des Zivilisationsbruchs im 20. Jahrhundert, das in die Stadtgesellschaft hineinwirken soll: Wie es Dr. Aleida Assmann formulierte: Erinnern ist Arbeiten an der Zukunft.
Wir haben den Ort, – unser Mitglied Diwi Dreysse wird nachher dazu sprechen, welche aktuellen Veränderungen vorgenommen wurden -, mit Ausstellungen: „Musik als Form geistigen Widerstands – Jüdische Musikerinnen und Musiker 1933 – 1945“, mit „Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel“ die wir in Kooperation mit dem jüdischen Museum präsentieren, mit „Displaced Persons- Vom DP -Lager Föhrenwald nach Frankfurt in die Waldschmidtstrasse“ gemeinsam erstellt mit Frankfurtern, die im DP-Lager Föhrenwald geboren wurden und uns als Zeitzeugen an ihrem Leben nach 1945 teilhaben ließen, sowie die gerade an das Kloster Eberbach ausgeliehene Ausstellung „Jüdisches Leben in Deutschland heute“ des Fotografen Rafael Herlich, die sonst hier in diesem Raum hängt, sowie die heute zu eröffnende neue digitale Ausstellung die vor allem auch Schulklassen und Jugendliche ansprechen soll.
Jüdische Kultur die von den Nazis zerstört werden sollte und wurde, die wieder im Öffentlichen sichtbar wird, zeigen wir hier, auch durch die kulturellen und politischen Veranstaltungen die seit Jahren hier stattfinden. Gerade an diesem Ort, der wie kein anderer dafür steht, was die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten verbrochen hat.
Ein zentrales Anliegen der Initiative war von Anfang an, dass die Fundamente der Synagoge die hinter und vor dem Bunker in der Erde liegen ausgegraben werden und darüber ein Zentrum errichtet wird, in dem Begegnungen, politische und kulturelle Aktivitäten stattfinden können.
Die, die hier Heute vorne stehen, werden mit ihren Namen und dem Gesagten mit der Ausstellung verbunden, ich möchte aber heute diejenigen nennen:
wie heisst es doch bei Bertold Brecht: und man sieht nur die im Lichte und die im Dunklen sieht man nicht, die, die seit Monaten und Wochen dazu beitragen, dass wir heute die Ausstellung eröffnen können. Das sind die ehrenamtlichen Mitglieder von der Initiative 9. November e.v.
Erika Hahn, Rainer Boettge, Mike Couzens, Renata Berlin, Jean Maurer, John Berg, Michael Strowik, Max Apel, unseren Geschäftsführer. Sowie weitere bezahlte Aufbauhilfen,
die gute Zusammenarbeit mit dem ABI, Amt für Bau und Immobilien der Stadt Frankfurt, mit den vielen netten Handwerkern die hier für Strom etc. gesorgt haben, den Putzleuten die uns von dem Staub befreiten, der durch die Bohrungen im Obergeschoss verursacht wurden. Wenn ich jetzt jemand vergessen habe, nehmt es mir nicht krumm, das ist der vielen Arbeit geschuldet die wir in den letzten Wochen gemeinsam gestemmt haben.
Besonders danken möchten wir Manfred Wenzel, Geschäftsführer der Firma Tektonik, stellvertretend für alle Mitarbeitende, die die Arbeiten aktiv begleitet und uns unterstützt haben. Ihnen haben wir die kleinen Objekte zu verdanken, die hier im Eingang stehen. Sie sind aus Materialien hergestellt die bei dem Eingriff in den Bunker abgefallen sind, diesem wichtigen Bohreingriff, der dazu beiträgt, dass der Bunker entmilitarisiert ist. Sie sind gegen Spenden erhältlich.
Ich möchte aber auch unsere finanziellen Unterstützer nennen, ohne die die Ausstellung nicht möglich gewesen wäre, das ist das bürgerschaftliche Engagement der vielen Einzelspenden, von 20 € – 5000 €, des Crowdfundings, ein Neuland, das wir betreten haben, sowie der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, Citoyen Stiftung und dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt. Danke für Ihre großzügige Unterstützung.
Wir beginnen mit dem Grußwort, der Ministerin Angela Dorn, die heute in Berlin ist, leider hat es mit einer Direktschaltung nach Berlin von unserer Seite her nicht geklappt, die dicken Wände verhindern bisher die Einrichtung von w-lan. Deshalb verlese ich jetzt das Grußwort der Ministerin
Nun begrüße ich die Dezernentin Eileen’O Sullivan die uns das Grußwort der Stadt Frankfurt überbringt
Angela Dorn, Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Wiesbaden
Sehr geehrte Mitglieder der Initiative 9. November e.V.,
sehr geehrte Gäste,
der 9. November 1938 gehört zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. In der Reichspogromnacht brennen jüdische Geschäfte und Synagogen, es kommt zu gewaltsamen Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung. Die Ausschreitungen in dieser Nacht sind eine Wendemarke von der Judenverfolgung zur Judenvernichtung. Dieses Andenken trägt die Initiative 9. November e.V. im Namen, und aus diesem Andenken erwächst die Kraft, ein Zeichen zu setzen gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus.
Die Ausstellung „Synagogen in Deutschland — Eine virtuelle Rekonstruktion” setzt ein solches Zeichen, indem sie die in der Novemberpogromnacht zerstörte Bauten der jüdischen Gemeinden wieder sichtbar macht. Sie findet ihren Platz in Frankfurt an dem Ort, an dem von 1907 bis zum Abbruch 1939 die Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft stand. Die Ausstellung zeigt uns den kulturellen Verlust, der mit ihrer Zerstörung einherging, aber führt uns gleichzeitig die Blüte und Vielfalt der jüdischen Gemeinden vor Augen. Sie konfrontiert die Besucherinnen und Besucher mit der Frage, warum es diese Synagogen und viele ihrer Gemeinden nicht mehr gibt. Sie erzählt uns Geschichten, lässt uns in einzelne Biografien eintauchen und macht damit Zahlen zu Gesichtern. Und sie nutzt die technischen Möglichkeiten unserer Zeit, um uns teilhaben zu lassen an der jüdischen Kultur. Das ist so ergreifend wie innovativ und sicher ein Grund, warum diese Ausstellung weltweit viele Menschen angesprochen hat und zu Gast unter anderem in Israel, USA und Kanada war.
Ich möchte allen von Herzen danken, die dazu beigetragen haben diese Ausstellung in Frankfurt zu zeigen: Die Mitglieder der Initiative 9. November e.V. haben sich mit viel Engagement dafür eingesetzt, die weiteren Stockwerke des Hochbunkers in der Friedberger Anlage dafür nutzen zu können. Diesen Einsatz unterstützen wir und fördern das Ausstellungsprojekt mit 50.000 Euro. Aber auch der Technischen Universität Darmstadt mit dem Fachgebiet Digitales Gestalten gilt mein Dank. Seit 1996 erstellen sie 3D Rekonstruktionen von Synagogen und entwickeln die Technik stetig weiter. Mit Hilfe von Virtual Reality wird so den Besucherinnen und Besuchern hier ermöglicht, eine Synagoge virtuell zu betreten, deren Zerstörung eine so große Lücke in dieser Stadt hinterlassen hat.
Ausstellungen wie diese sind essentiell für den Umgang mit unserer Vergangenheit. Technologie stellt sich in den Dienst von Erinnerungsarbeit und leistet damit einen Beitrag dazu, das Andenken an Geschichte lebendig zu halten. Gleichzeitig geben sie wichtige Impulse in den Regionen, denn Kulturarbeit hat immer auch das Potenzial, lnklusion, Interkulturalität und Integration zu fördern. Denn wo kluge und kreative Köpfe sich entfalten können, tragen sie dazu bei, dass unsere Gesellschaft zukunftsfähig wird
Ich wünsche Ihnen einen interessanten Besuch und spannende Begegnungen.
Eileen O‘Sullivan, Stadträtin für Digitalisierung
Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren. Ich freue mich, heute Vormittag hier mit Ihnen zusammenkommen zu dürfen und gemeinsam mit Ihnen der Eröffnung der Ausstellung “Synagogen in Deutschland – eine virtuelle Rekonstruktion” beizuwohnen. Für mich als für die Digitalisierung zuständige Dezernentin ist es besonders berührend, dass 83 Jahre, nachdem die Nazis in ganz Deutschland und Österreich Synagogen zerstört und Jüdinnen und Juden ermordet haben, heute virtuell ein Teil der zerstörten Kulturgüter und Denkmäler wieder für uns erfahrbar wird. Und gerade dieser Ort – welcher könnte besser sein für eine so wertvolle Erfahrung – keine Bemühung, keine großen Worte und keine Gesten können die Verbrechen des Nazi-Regimes ungeschehen machen. Umso wichtiger ist es, dass wir alle unsere Möglichkeiten, ob digital oder analog, nutzen, um zu mahnen und zu erinnern. Zu erinnern nicht nur an das Verbrechen und das Leid, sondern auch an die Vielfalt und Schönheit des Judentums. Denn jüdisches Leben ist nicht bloß ein trauriges Kapitel in unseren Geschichtsbüchern. Jüdisches Leben ist echt, es ist gegenwärtig, es ist lebendig, es ist aufregend, schön, bunt und Teil der DNS unserer Stadt, unseres Landes, unserer Gesellschaft.
Es ist ein großes Geschenk, dass uns eine neue Technologie wie virtual reality die Möglichkeit gibt, Vergangenes wiederzuentdecken und dabei neue Perspektiven einzunehmen. Ich hoffe sehr, dass möglichst viele Frankfurterinnen und Frankfurter, Touristinnen, Junge und Alte diese Ausstellung besuchen und sich die Schönheit und Anmut des jüdischen Lebens bewusst machen. Und ich wünsche mir, dass sich die Menschen, die hierher kommen, bewusst machen, wie wichtig es ist, diese Schönheit und Kultur zu schützen und gegen Hass und Zerstörung zu verteidigen.
Ich danke dem Verein Initiative 9. November und allen Mitwirkenden, besonders den Ehrenamtlichen von Herzen für ihr Engagement und diese wunderbare Ausstellung, und ich wünsche uns allen bereichernde neue Perspektiven beim Erleben dieser virtuellen Rekonstruktion. Vielen Dank.
Marc Grünbaum, Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt
DW Dreysse
Meine Damen und Herren, Freunde und Freundinnen, es ist eine wirklich große Freude für uns, heute diesen Tag mit so vielen Gästen hier feiern zu können. Es gibt wirklich mehrere Gründe, die Anlass für diese Feier bilden. Es sind drei Punkte, drei Elemente, drei Neuerungen, die wir heute in diesem Bunker feiern können. Als erstes natürlich eine neue Ausstellung, die fünfte Ausstellung in diesem Haus. Es ist eine ganz besondere Ausstellung, wir haben schon einiges dazu gehört. Sie werden sie nachher besichtigen, und Marc Grellert, ihr Schöpfer, wird Ihnen vorher über sie genauer berichten. Es ist auch schon gesagt worden, dass diese Ausstellung mittels virtueller Rekonstruktionen sehr eindringlich die vergangene Pracht zeigt und vor allen Dingen auch das pralle Leben, das dahinter steckte. Natürlich wird auch der Kontext, der politische Kontext der Zerstörung benannt. All das ist eine wunderbare Ergänzung zu den bisherigen Ausstellungen hier im Haus. Sie ist sozusagen die Krönung, und wir sind froh, dass sie als Dauerausstellung hier bleiben wird. Bisher war sie ja – das haben wir gehört – als Wanderausstellung konzipiert.
Die zweite Neuerung ist, dass wir ein neues Geschoss in diesem Bunker in Besitz nehmen können, dass wir dieses neue Geschoss, das zweite Obergeschoss als neue Ausstellungsfläche gewonnen haben. Für diesen Ort und für unsere Initiative 9. November bedeutet das eine wirklich auch qualitativ neue Epoche. Diese Erweiterung ist nur möglich gewesen, weil die Stadt, in diesem Fall vor allen Dingen das Baudezernat und das Amt für Bau und Immobilien beschlossen hatten, den Bunker nach und nach auszubauen. Das war am Anfang nicht so einfach, es klang auch nicht so, als ob das gelingen würde. Und eigentlich ist die Entscheidung dafür erst in diesem Frühjahr gefallen. Und dafür ist dem Amt für Bau und Immobilien wirklich sehr, sehr herzlich zu danken. Vor allem auch, dass die Baumaßnahmen tatsächlich termingerecht für heute fertig gestellt wurden. Wir haben erst vorgestern die vorläufige Inbetriebnahme durch die Bauaufsicht Frankfurt erhalten. Es ist also wirklich knappst gewesen, aber es hat funktioniert. Bravo und Dank dem Amt für Bau und Immobilien und den beteiligten Architekten von Tektonik.
Der dritte Punkt, das würde ich sagen, ist sogar der entscheidende, die entscheidende Neuerung. Damit das hier im zweiten Obergeschoss, auch in den anderen Geschossen funktioniert, mussten in den Außenwänden – wir haben es schon gehört, zwei Meter dicke Betonwände – Durchbrüche gemacht werden. Große Öffnungen von 1,40 Meter im Quadrat. Und diese Durchbrüche – das ist ein richtiger Durchbruch für uns als Initiative, für oder gegen dieses Gebäude. Durchbruch heißt in dem Fall: dieses Gebäude ist jetzt endgültig demilitarisiert. Bis vor drei Wochen war es noch ein intakter Schutzraum, nicht nur ein Bunker aus dem zweiten Weltkrieg, sondern auch ein modernisierter Bunker aus den 80er Jahren, Zeit des Kalten Krieges, gegen Atombomben, Biowaffen, chemische Waffen, also ein ABC-Bunker. Er ist komplett ausgerüstet mit Lüftungsanlagen, Stromversorgung, Toiletten usw., damit hier Leute angeblich zwei, vielleicht sogar drei Wochen überleben konnten, um dann anschließend in das Inferno rausgelassen zu werden. Eine Absurdität von Anfang an. Gott sei Dank hat der Frankfurter Feuerwehrchef, Reinhard Ries, sich dafür eingesetzt, dass diese Absurdität in der Bundesrepublik ein Ende zu nehmen hat. 2007 ist tatsächlich nicht nur dieser Bunker, sondern sind alle 2000 modernisierten Bunker in Deutschland aus der Schutzfunktion entlassen worden. Das war der Moment, in dem Gemeinden wie die Stadt Frankfurt ein Vorkaufsrecht einlösen konnten, Bunker vom Bund zu erwerben, so auch diesen Bunker hier. Dieser Bunker – und das will ich besonders betonen – ist aufgrund der Initiative 9. November zu einem symbolischen Preis vom Bund an die Stadt Frankfurt verkauft worden. Zu einem symbolischen Preis. Den Marktpreis hatte der Bund seinerzeit mit fast drei Millionen Euro ermittelt. Durch die Initiative ist der Stadt Frankfurt sogar ein materieller Gewinn erreicht worden. Damit ist allerdings auch die Auflage verbunden, dass der Bunker auf Dauer ein Gedenk- und Erinnerungsort, ein Begegnungsort bleiben soll. Das ist wichtig. Dieser Durchbruch symbolisiert das Ende der Schutzfunktion des Bunkers, und wir könnten jetzt eigentlich von etwas anderem als vom Bunker reden. Aber er ist natürlich immer noch ein Bunkergebäude. Er ist immer noch da in seiner ganzen Brutalität. Trotzdem freuen wir uns und auch darüber, dass Sie mit uns diese Freude teilen können. Das ist wirklich ein ganz, ganz wichtiger Schritt.
Natürlich bleibt die Frage: Was stellt denn eigentlich der Bunker für die Initiative, für uns dar? Es ist nicht allein der Bunker an der Stelle einer ehemaligen wunderbaren, der prächtigsten und größten Synagoge Frankfurts, sondern es ist vor allen Dingen der Gewaltakt, der hier deutlich wird, der auf diesem Ort des Bunkers lagert. Dieser Gewaltakt, der für die Verbrechen der Nazis an der Jüdischen Gemeinde, an den jüdischen Menschen, an der jüdischen Religion und Kultur und an den Gebäuden steht. Für die Initiative ist dieser Akt das Hauptmotiv gewesen, sich überhaupt zu gründen, diesen Gewaltakt zu thematisieren und auch sichtbar zu machen. Aber das geht nicht, indem wir jetzt einfach friedlich in dem Bunker Ausstellungen, Veranstaltungen u.s.w. machen, sondern – Iris Bergmüller hat es bereits erwähnt – wir fordern schon seit vielen Jahren, dass dieser Gewaltakt konkret sichtbar gemacht wird. Dass er ans Licht geholt werden muss, indem die Reste der Synagoge, die vor und hinter dem Bunker lagern, ausgegraben werden, sichtbar gemacht werden. Dass das Zerstörende des Bunkers und das Zerstörte aufeinanderprallen und für jeden sichtbar gemacht werden können. Das ist ein wichtiges Mittel, um überhaupt Geschichte hier an dieser Stelle erlebbar zu machen. Dieser Klotz, dieser Sarkophag, dieses Zerstörende und das Zerstörte bilden in der Sichtbarmachung den eigentlichen Skandal ab. Dieser Skandal sollte auch auf Dauer ans Licht gebracht und materiell vorhanden bleiben. Es ist ein Ort, an dem die ganze brutale Geschichte des 20. Jahrhunderts deutlich wird. Erinnern wir daran, dass die Synagoge, die hier stand, erst 1907 geweiht worden war. Also ganz zu Anfang des Jahrhunderts. Die deutsche Geschichte mit den vielen, vielen Facetten zieht sich hin bis an das Ende des 20. Jahrhunderts und hinterlässt immer wieder Spuren an diesem Ort.
Zum Schluss möchte ich Ihnen ein Zitat vortragen, das in einem Bericht an den Kulturausschuss der Stadtverordnetenversammlung vor etwa einem Jahr formuliert worden war. Ich zitiere: „Nach der Niederlage um die Ausgrabung des Frankfurter jüdischen Ghettos am Börneplatz darf sich die später auch von Ignatz Bubis eingestandene Fehlentscheidung, die Maingaswerke zu bauen, an dem Ort der 1938 zerstörten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft auf keinen Fall wiederholen. Die Fundamente einer der schönsten Synagogen in diesem Land müssen ausgegraben und vor Ort sichtbar gemacht werden. Der in der Friedberger Anlage errichtete Hochbunker muss gleichermaßen sichtbar bleiben als authentisches Mahnmal von Zerstörung und Vernichtung einer Kultur, die freie Religionsausübung, Toleranz und Vielfalt dokumentieren soll.“ So weit aus dem Bericht an den Frankfurter Kulturausschuss. Damit möchte ich schließen. Es ist das Wesentliche gesagt, und Sie werden es selbst erleben können.
Und jetzt wird Sie Marc Grellert als der Kurator der Ausstellung einführen in diese Ausstellung. Marc Grellert, Architekt, Dozent an der TU in Darmstadt, hat eine hervorragende Dissertation vorgelegt über die Entwicklung und Architektur der Synagogen insgesamt und arbeitet seit 25 Jahren an der virtuellen Rekonstruktion jüdischer Sakralbauten. Marc, ich darf dich bitten, das Wort zu übernehmen.
Marc Grellert, Kurator der Ausstellung
Lieber Herr Grünbaum, liebe Frau O‘Sullivan, liebe Anwesende,
1994 verübten vier Neonazis einen Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck. Das brachte mich auf die Idee: Vielleicht könnte die Rekonstruktion von Synagogen, die in der NS-Zeit zerstört worden sind, ein kleiner Beitrag gegen stärker auftretenden Antisemitismus und Rechtsradikalismus sein. Wir fingen an mit drei Frankfurter Synagogen. Ich bin damals zu Salomon Korn gegangen und habe ihn gefragt, ob wir ein solches Projekt machen können, oder ob wir damit religiöse Gebote verletzen. Er ermutigte uns und war auch als Architekt selber neugierig. Salomon Korn bemerkte, dass es so gut wir keine personelle Kontinuität zwischen der damaligen jüdischen Gemeinde und der heutigen jüdischen Gemeinde gäbe, und ein solches Projekt vielleicht ein Anknüpfungspunkt für die nächsten Generationen darstellen könnte. Er hat das Projekt bis heute begleitet.
So fingen wir an mit den drei Frankfurter Synagogen Friedberger Anlage, Börneplatz und der Hauptsynagoge in der ehemaligen Judengasse. Das Ziel war die kulturelle Pracht, das Schöne der Synagogen zu zeigen, aber auch die städtebauliche Bedeutung der Synagogen zu würdigen und letztendlich einen Beitrag zu Erinnerung an die Shoa zu leisten. Es gab dann eine erste Ausstellung im Frankfurter Jüdischen Museum. Den Kern bildeten ausgedruckte Computerbilder, die in Bilderrahmen aufgehängt wurden. Heute kaum vorstellbar, aber das hat damals tatsächlich die drei Frankfurter Tageszeitungen dazu gebracht, diese Bilder auf ihren Titelseiten abzudrucken. Wir haben auch sehr viel Ermutigung von Zeitzeugen erhalten, viele haben uns angeschrieben und um Bilder gebeten.
Aufgrund der positiven Resonanz weiteten wir das Projekt auf das ganze Bundesgebiet aus und rekonstruierten mit Studierenden noch weitere zehn Synagogen. Daraus entstand eine Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle. Diese Ausstellung war dann auch der Nukleus der Ausstellung, die wir jetzt hier sehen. Sie ging zunächst nach Tel Aviv ins Diaspora Museum, war dann in den USA in Detroit und später in Kanada in Winnipeg und Toronto zu sehen. 2019 kehrte sie zurück nach Deutschland und wurde in Paderborn gezeigt. Dann hätte sie wahrscheinlich entsorgt werden müssen, da niemand die Lagerungskosten dieser Ausstellung mit Ihren 55 großen Kisten übernehmen konnte. Aber in Gesprächen mit der Initiative 9. November entstand der Gedanke: Könnte nicht an diesem Ort hier die Ausstellung dauerhaft präsentiert werden. Gleichzeitig mit diesen Überlegungen stand das Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ an, und ich konnte in diesem Rahmen Mittel für eine neue, kompakte Wanderausstellung beantragen. Nun existieren zwei Ausstellungen: es gibt zum einen eine Wanderausstellung mit den virtuellen Synagogen, die im Sommer im NS-Dokumentationszentrum in Köln zu sehen war, zurzeit in Minden präsentiert wird, und die schließlich überall in Deutschland gezeigt werden kann, und zum anderen gibt es jetzt diese Ausstellung in Frankfurt als Dauerausstellung.
Die neue Wanderausstellung brachte auch Impulse für diese Ausstellung hier. So etwa zur Darstellung heutigen jüdischen Lebens. In Filminterviews erzählen Jüdinnen und Juden aus Köln was ihnen der Ort Synagoge bedeutet. Oder ein Film, der Synagogen vorstellt, die nach 1945 in Deutschland gebaut wurden. Und wir konnten auch Virtual Reality verwirklichen. Sie können die Synagoge, die einst hier stand, in einer zweiminütigen Virtual-Reality-Anwendung erleben. Sie sitzen auf einem Stuhl mit der VR-Brille und virtuell auf einer Bank in der Synagoge Friedberger Anlage.
Lassen Sie mich nun den Aufbau der Ausstellung kurz skizzieren:
Die Ausstellung hat mehrere Bereiche. Den ersten Bereich haben wir „Wahrnehmung“ genannt. Da finden Sie schwarze Stelen mit Gesetzen, die gegenüber Jüdinnen und Juden in der NS-Zeit erlassen worden sind. Diese Stelen verengen den Raum, wie sich damals auch der gesellschaftliche Raum für Jüdinnen und Juden verengt hat. Das führt in den nächsten Bereich „Eskalation“, wo Sie die Namen von über tausend Städten lesen können, in denen Synagogen am 9. / 10. November demoliert, angezündet, zerstört wurden – und Bilder dieser Zerstörung. Dann folgt ein Bereich zur Geschichte jüdischer Sakralbauten vom Tempel in Jerusalem und den ersten Synagogen in der Antike, über die mittelalterlichen Synagogen in Deutschland bis hin zu den Synagogen des 19. und 20. Jahrhunderts. Dies war die Zeit, in der die großen Synagogen in Deutschland entstanden sind. Es ist davon auszugehen, dass ungefähr 2.800 bis 3.000 Synagogen im Deutschen Reich existiert haben. Die genauen Zahlen sind nach wie vor in der Forschung nicht bekannt. Wohl um die 1.500 sind in der Pogromnacht zerstört worden. Die meisten sind in den Monaten danach abgetragen worden. Es gab über 60 Synagogen, die bereits vor dem November-Pogrom 1938 demoliert oder zerstört worden sind, darunter auch die großen Synagogen in Nürnberg, Dortmund, Kaiserslautern und München, die planmäßig im Spätsommer von den Nazis abgerissen wurden.
Dem Geschichtsbereich anschließend folgt der Hauptbereich mit den virtuellen Rekonstruktionen. Wir haben uns schon im Jahr 2000 bei der ersten großen Ausstellung gefragt: wie stellt man etwas aus, das es nicht mehr gibt, das nur über ein virtuelles Modell repräsentiert ist? Wir haben uns dafür entschieden, den Rekonstruktionsprozess zu thematisieren. So gibt es für jede Synagoge eine Art „Werkstattatmosphäre“ mit einem Schreibtisch, einem Stuhl und einem Bildschirm. Die Besuchenden können dort den Rekonstruktionsprozess nachvollziehen. Was waren die Grundlagen? Wie waren die einzelnen Schritte der Modellierung? Was waren die Ergebnisse? Dazu gibt es pro Synagoge zwei sogenannte Pinboards, schwarze Bretter, auf die die Studierenden damals die wichtigsten Unterlagen mit Bildern, Texten, Plänen zusammengestellt und aufgepint hatten. Diese wurden abfotografiert und künstlerisch aufgearbeitet. Zusätzlich gibt es für jede Stadt eine einführende Texttafel mit Informationen zu der jüdischen Gemeinde, der Verfolgung und zu der Synagoge selbst. Hinzu kommt jeweils eine charakteristische Abbildung der rekonstruierten Synagoge als Drahtgittermodell.
Diesem „Werkstattbereich“ gegenübergestellt sind dann die Ergebnisse zu sehen – großformatige Bilder der Rekonstruktionen werden auf die Wände projiziert. Insgesamt zehn solcher Abschnitte, bestehend aus den „Werkstattbereichen“ und den Projektionen der Ergebnisse, erstrecken sich in dem Ausstellungsraum. Insgesamt 25 Synagogen sind zu sehen.
Zum Schluss möchte auch ich mich bedanken beim Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, bei der Stadt Frankfurt, bei der Stiftung Polytechnische Gesellschaft sowie der Stiftung Citoyen, beim Jüdischen Museum Frankfurt – mit dem stellvertretenden Direktor Michael Lenarz verbindet mich eine 25jährige fruchtbare Zusammenarbeit. Bedanken möchte ich mich aber vor allem bei den Studierenden unseres Fachgebietes. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass Sie die virtuellen Synagogen, die Sie jetzt gleich oben erwarten, in dieser Pracht sehen können. Nennen möchte ich Roland Ader, Nesrin Asma, Wiebke Lea Bartels, Milena Dähne, Marcel Forberg, Patrik Grlic, Juliane Haber, Max Illig, Chiara Kamps, Karla Noll Viloria, Aaran Perera, Dennis Petersen und Giuseppe Antonio Raffaele, die bis kurz vor Schluss an der Synagoge von Bamberg, von Leipzig und der in der Friedberger Anlage gearbeitet haben. Dass sie heute so zu sehen sind, ist Euch zu verdanken.